Wohnen über dem Hauptgesims

Im Zuge eines Dachgeschossausbaus und der Gesamtsanierung eines Gründerzeithauses am Julius-Tandler-Platz schufen Schuberth und Schuberth gemeinsam mit dem Architekten Daniel Gutmann sechs Maisonetten und eine Turmwohnung in Form von Mieteinheiten im neunten Wiener Bezirk. Die im Erdgeschoss verorteten Geschäfts- und Funktionsräume wurden in diesem Zuge reorganisiert sowie das Foyer und die Zugangsportale neu gestaltet.

Wohnen über dem Hauptgesims

Im Zuge eines Dachgeschossausbaus und der Gesamtsanierung eines Gründerzeithauses am Julius-Tandler-Platz schufen Schuberth und Schuberth gemeinsam mit dem Architekten Daniel Gutmann sechs Maisonetten und eine Turmwohnung in Form von Mieteinheiten im neunten Wiener Bezirk. Die im Erdgeschoss verorteten Geschäfts- und Funktionsräume wurden in diesem Zuge reorganisiert sowie das Foyer und die Zugangsportale neu gestaltet.

 

 

Einst prägten üppige Ornamente die Fassade des alten Jugendstilhauses am Julius-Tandler-Platz in Wien. Bis vor Kurzem ließ sich die vergangene Pracht des prominenten Eckgebäudes gleich neben dem Franz-Josef-Bahnhof nur noch vage erahnen. Nun haben Schuberth und Schuberth in Kollaboration mit dem Architekten Daniel Gutmann das Schmuckstück im Zuge eines Dachgeschossausbaus mit Gesamtsanierung aus dem Dornröschenschlaf erweckt.

 

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„Gestalterisch galt es, ein elegant-zurückgenommenes Erscheinungsbild zu schaffen und eine zeitgenössische Wirksamkeit des Hauses wiederherzustellen –  einerseits durch das Entfernen späterer Ablagerungen, andererseits durch behutsame Ergänzungen und Veränderungen“, so die Architekten. In der konkreten Umsetzung spiegelt sich dieses Ansinnen in sorgfältig herausgearbeiteten Details wider, die in Kombination mit graphischen Motiven eine Neu-Interpretation der ehemaligen Ornamentik darstellen, ohne diese platt zu kopieren.

 

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Bei der Gestaltung der Außenhaut setzten die Architekten auf schlichte Akzente wie „wimpernartige“ Sonnenschutzlamellen vor den neu hergestellten Turmfenstern und kleine, in die Dachhaut eingeschnittene gaupenhafte Terrassen. Die in hellen Grautönen getünchte, zurückhaltend mit Stuck versehene Fassade – der ursprüngliche Fassadenschmuck des Hauses war nicht mehr herzustellen – harmoniert perfekt mit den anmutig graugrün gestrichenen Stahlteilen – einer Interpretation des in Wien weit verbreiteten „Resedagrüns“. Aus funktioneller Sicht wurden im Erdgeschoss einerseits die notwendigen dienenden Räume verortet und andererseits das Foyer entsprechend seiner ursprünglichen, repräsentativen Nutzung offen gestaltet.

Ähnlich einer grafischen Signatur ziehen sich von ehemaligen Nutzungen inspirierte Kreis- und Streifenmotive über die beiden Haupteingänge im Erdgeschoss bis hinauf in den Gang des ersten Dachgeschosses und manifestieren sich dort auch in konstruktiver Weise bei der formalen Ausgestaltung der Pergolen, „Wimpern“, Terrassentrennwände aus Holz und offenen Stahlstiegen.

 

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Das Dachgeschoss

Wer das Gründerzeithaus-Setting schätzt, darf sich wohl glücklich schätzen, eine der Mietwohnungen im Dachgeschoss am Julius-Tandler-Platz zu ergattern. Besonders begehrt: die Maisonetten, deren Wohn­ebenen über das erste Dachgeschoss erschlossen werden und deren Galerieebenen sich im zweiten Dachgeschoss mit den Schlaf- und Arbeitsräumen zusätzlich zu den hofseitig angeordneten Terrassen orientieren. Im Fokus stehen dabei aus räumlicher Sicht die Blickbeziehungen – einmal als Motiv der überlagernden Öffnung mit Blick aus der Raumbox durch die Dachhaut über die Stadt Wien und einmal in Form von Schiebeelemente innerhalb der Wohnungen, die auf ein Verschwimmen der Ebenen abzielen.

 

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Im Zuge der Ausstattung der Wohnungen hatten die Architekten eine leichte und freundliche Aura gepaart mit einer annähernd industriell anmutenden Schlichtheit im Sinn. So trifft farbiges Linoleum in rot und hellviolett an den Böden und rund um die Lichttaster auf massive Türdrücker, zurückhaltende Einbauküchen mit Glasrückwänden und kleinformatige, auf die jeweilige Wohnungsfarbe abgestimmte Fliesen in den Bädern. Die Stahlstiegen wiederum wurden aus konstruktiver Sicht aufgelöst und wirken filigran, die Stufen sind mit Linoleum belegt, die Geländer mit Streckmetallgittern ausgefacht. Tischlerdetails wie Sitzstufen aus Holz und die Pergolen fügen sich unaufgeregt in das Ensemble ein und verleihen den Wohnungen eine besonders lässige Qualität.
Von innen wie von außen eine Besonderheit am Bau: die Turmwohnung mit dem runden Turmzimmer mitsamt Holzkuppel, das zu einem Wintergarten umgebaut wurde. „So konnte das historische Dachgespärre erhalten bleiben“, erklären die Architekten. Entstanden ist ein spektakulärer Raum, von Licht geflutet und durch Lage und Ausblick hervorgehoben.

 

 

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5 Fragen an Gregor Schuberth

Wie wichtig ist in Ihren Augen die Revitalisierung bzw. Erweiterung von bestehenden Substanzen?

Das Um- und Weiterbauen ist eine ganz eigene Aufgabe. Man kann das einerseits als Collage sehen, in der sich Altes mit Neuem verbindet und ein neues Gebilde ergibt, oder andererseits eher als organischen Prozess, bei dem das schon Bestehende „weiter wächst“.

Wo liegen hierbei die größten Herausforderungen und Chancen?

Vielleicht ist der Vergleich zum zeitgenössischem Theater hilfreich: Wenn ein älteres Stück gezeigt wird, muss es immer auch interpretiert und für heutige Augen erschlossen werden. Dabei sollte es aber nicht überschrieben oder im Kern verändert werden, dann wäre es keine Inszenierung sondern eine Uraufführung – ein Neubau, kein Umbau.

Eine besondere Qualität des Projekts?

Die Gegend um den ehemaligen Althanplatz ist historisch ungemein dicht. Einige der Doderer-Romane spielen genau hier, die Protagonistin Mary K. aus der Strudlhofstiege wohnte genau im Haus gegenüber. Diese schönen Gründerzeithäuser wirken heute, oft ohne Stuck und mehrmals verändert, ein wenig zerzaust. Wir haben versucht, die stolze Zeitgenossenschaft des Hauses ins Heute zu holen, Zimmer und Durchgänge zu erzeugen, in denen sich das Personal eines Romans zurechtfinden könnte, nur eben eines Romans von heute. Vielleicht schreibt den ja noch wer.

Welche Rolle spielte die Wahl der Materialien?

Materialien sind Teil der Mittel, die uns zur Verfügung stehen. Es ist auch immer inter­essant, sie ein wenig abseits der üblichen Verwendung einzusetzen, also ein bisschen gegen den Strich zu bürsten. Plötzlich treten sie dann umso kräftiger hervor. In diesem Projekt spielen Farben eine große Rolle. Das äußere Fassadenkleid ist nüchtern und auf die Stadt bezogen, nur kleinere grafische Applikationen schmücken Eingänge und Geschäftsportale. Die neuen Wohnungen dagegen haben teilweise kräftige Farben, als Bodenbelag oder Wandanstrich, und kreieren sich so ein wenig ihre eigene Welt.

Ihr Lieblingsplatz im Dachgeschoss und warum?

Ich glaube das Turmzimmer ist ein sehr spezieller Ort. Das alte Gespärre wurde beibehalten und freigelegt, nur notwendige Adaptionen vorgenommen. Hier sind Alt und Neu nahe beieinander, die Kuppel und die Dachbalken, und davor der wuselige Platz mit Autos und Straßenbahnen. Hier könnten vielleicht ein Leutnant Melzer in Uniform auftreten und eine Bewohnerin, die grade eingezogen ist, mit Smartphone und Kopfhören, und es würde gar nicht auffallen.

 

 

Dachgeschossausbau Julius-Tandler-Platz 4
Wien, Österreich

Bauherr: Privatstiftung Althangrund
Planung: Schuberth und Schuberth mit Architekt Daniel Gutmann
Mitarbeiter: Alexander Dworschak, Mariel Kleemann
Statik: RWT PLUS ZT GmbH

Nutzfläche:
bestehende Wohnungen, Büros, Praxen – 2.730 m2
Geschäftsfläche EG saniert – 143 m2
Wohnungen DG1 + DG2 – 550 m2 zzgl. Terrassen – 142 m2

Planungsbeginn: 2015
Bauzeit: 1.5 Jahre
Fertigstellung: 2020

www.schuberthundschuberth.at
www.architekt-gutmann.at

 

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: Christoph Panzer