Materialien quer durch die Zeit beobachten

Interview mit Künstler Andreas Fogarasi - Als bildender Künstler arbeitet und lebt Andreas Fogarasi in Wien. Für seine Arbeit bedient er sich einer Vielzahl an Medien: Fotografie, Film, Skulptur oder auch mit gefundenen Gegenständen (sog. Object trouvé). Als sein primäres Medium bezeichnet er aber die Ausstellung, weil ihm die physische Konfrontation und der Maßstab wichtig sind. Der Beitrag Materialien quer durch die Zeit beobachten erschien zuerst auf architektur-online.

Materialien quer durch die Zeit beobachten

Als bildender Künstler arbeitet und lebt Andreas Fogarasi in Wien. Für seine Arbeit bedient er sich einer Vielzahl an Medien: Fotografie, Film, Skulptur oder auch mit gefundenen Gegenständen (sog. Object trouvé). Als sein primäres Medium bezeichnet er aber die Ausstellung, weil ihm die physische Konfrontation und der Maßstab wichtig sind. Sein Interesse gilt der Architektur, der Stadt, sowie den darin enthaltenen gesellschaftlichen und urbanen Transformationsprozessen. Seine Kunst wurde bislang in zahlreichen internationalen Ausstellungen und Einzelausstellungen präsentiert. 2007 wurde er auf der 52. Biennale di Venezia mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, 2016 erhielt er für sein Werk den Otto Mauer Preis.

 

Künstler Andreas Fogarasi
© Prae.hu / Oláh Gergely Máté

 

Was macht eine Stadt aus?
Das wesentliche ist die Dichte und die Gleichzeitigkeit von vielen Dingen, die man sich nicht aussucht und denen man sich aussetzt. Eine segregierte Stadt ist keine Stadt. Man muss Dingen begegnen, die einem gefallen oder auch nicht, und die gleichzeitig am selben Ort stattfinden. Es gibt ein menschliches Bedürfnis, sich mit Ähnlichem zu umgeben. Deshalb gibt es auch immer die Tendenz, Stadtviertel zu homogenisieren. Es ist die Stärke der Stadt, dem entgegenzusteuern, sodass man immer auch mit dem Fremden und Anderen konfrontiert ist. Ich finde es extrem wichtig, dass man mit Dingen zu tun hat, die man nicht kennt. Das ist der Schlüssel dazu, um in der Welt intelligent agieren zu können. Was mich außerdem an der Stadt interessiert, ist dass man alles was in der Gesellschaft passiert, in komprimierter Form beobachten kann. Dort wird es gelebt, gebaut, ausverhandelt. Gesellschaftliche Entwicklungen werden in der Stadt wie unter einem Vergrößerungsglas sichtbar.

Woher kommt Ihr Interesse für Architektur?
In der Architektur treffen künstlerische Kreativität und finanzielle Macht aufeinander. In gebauter Form manifestiert sich dann etwas, das in einem größeren Maßstab für lange Zeit präsent ist. Es beginnt ja mit Ideen und einer gewissen Unschuld und Freiheit in ihrer Entwicklung. Es gibt die Machtstrukturen, die diese Ideen herausfordern und ermöglichen. Diese beiden Faktoren in ihrem Zusammenspiel zu betrachten, bestimmt mein dokumentarisches Interesse an Architektur. Ich habe ja auch Architektur studiert, mich aber dafür entschieden, vor dem Diplom aufzuhören, um nicht Architekt werden zu können. Die Ausbildung hat mich aber stark geprägt. Meine Arbeit ist häufig nahe an Architektur, sowohl im Maßstab als auch in der Strategie, folgt aber einer anderen Logik. Es sind isolierte architektonische Gesten, die versuchen, für Dinge eine Wahrnehmung zu schaffen, die man nicht sieht, die gerade unpopulär sind oder von denen wir abgelenkt werden, durch die medienübergreifende Gesellschaft des Spektakels.

Wie sehen Sie die Vielfalt der Materialien, die aktuell in der Architektur in Verwendung sind?
Es gibt das komplette Spektrum von einfach und billig zu teuer und spektakulär, und jeweils die ökonomischen Logiken dahinter. Ein Traumprojekt von mir wäre eine umfangreiche Materialbibliothek einer Stadt anzulegen. Einen Raum zu schaffen, wo die ganze Vielfalt architektonischer Oberflächen zu betrachten ist, ein komprimiertes Bildnis der Stadt, radikal abstrahiert. Meine Ausstellung „Nine Buildings, Stripped“ in der Kunsthalle Wien war ein bescheidener Versuch so etwas zu machen, ein Art „Case Study“ zur Materialität von neun ausgewählten Bauten in Wien.

 


Die Ausstellung „Nine Buildings, Stripped“ in der Kunsthalle Wien untersuchte die architektonischen Oberflächen der Stadt. Materialien von Gebäuden, die abgerissen oder umgebaut wurden, kombiniert Andreas Fogarasi mit den Materialien, die stattdessen hinkommen. So einstehen zeitübergreifende Portraits bestimmter Orte und Gebäude.
© Jorit Aust

 

Gibt es Veränderungen, die sie bei der Materialwahl erkennen?
Materialien sind häufig gewissen Zeiten zuzuordnen und auch die Wertschätzung für sie ist zeitgebunden. Da gibt es typische Zeiträume, wo etwas modern, neu, spannend und attraktiv ist. Dann tritt es aus der Avantgarde in den Mainstream. Irgendwann wird es dann altbacken und uninteressant. Später kommen sie dann wieder. Dieser Kreislauf ist in der Mode schneller als in der Architektur, man kann ihn aber in allen kreativen Bereichen, quer durch die Zeit beobachten. Ich vermeide es, eine Wertung über ein bestimmtes Material oder über das was neu ist abzugeben. Die unkritische Begeisterung für das Neue ist für mich eine starke Erinnerung aus dem Architekturstudium. Die Faszination des Neuen, die die Architektenseele durchdringt, ist ein wichtiger Impuls für Kreativität, aber natürlich auch gefährlich, weil sie genau so viel zerstört, wie sie schafft. Als Nicht-Architekt habe ich da die Möglichkeit, dem ein bisschen den Spiegel vorzuhalten, beziehungsweise dieses Alt und Neu nebeneinander zu betrachten, dem Zeitfluss zu entziehen.

Wird es in Zukunft hauptsächlich um das Bauen im Bestand gehen?
Versiegelte Flächen gibt es genug. Die Stadt verträgt wesentlich mehr Dichte, in Wien ist da schon noch einiges möglich. In dieser Stadt hat man urbane Entwicklungen im Vergleich zu anderen Städten immer wie in Zeitlupe betrachten können, aber das ist vorbei, die Dynamik hat in den letzten zehn Jahren enorm zugenommen. Was mich schmerzt ist, dass ganz viele Sachen aus der Stadt verschwinden. Das Gewerbe zieht an den Stadtrand, das ist ein großer Verlust, denn Großhändler und Handwerksbetriebe mitten in der Stadt erzeugen eine unglaubliche Qualität durch funktionale Vielfalt. Es werden reihenweise Hallen abgerissen, da geht natürlich auch bauliche Vielfalt verloren. Aber es genügt nicht, nur die industriell-schicke Ziegelfassade zu erhalten und mit demselben Inhalt der umliegenden Gebäude zu füllen. Wie man tatsächliche Vielfalt und nicht nur eine Vielfalt der Oberflächen erhält ist die Herausforderung.

Wie schätzen Sie aktuell den Umgang mit schon vorhandener Bausubstanz ein?
Es wird immer nur dort etwas erhalten, wo es als vermarktbare Oberfläche profitabel ist. Hinter alten Fassaden neue Strukturen zu bauen ist vielleicht einen Deut besser als sie ganz abzureißen, es bleibt dann aber eben nur Fassade. Man müsste genauer hinschauen, was die räumlichen und funktionalen Qualitäten abseits der Oberflächen sind. Es wäre spannender, bestehende Funktionen am Ort zu behalten und intelligent nachzuverdichten. Alle Akteure sind gefordert, Entscheidungen, z.B. ob ein Umbau oder Neubau überhaupt sein muss, stärker zu hinterfragen. In den 1960er Jahren hat der britische Architekt Cedric Price propagiert, das Aktionsfeld der Architektur dahin zu erweitern, dass man den Vorschlag machen kann, nicht zu bauen. Auch das ist Architektur. Dinge nicht zu tun, ist oft die unsichtbarste, stärkste und kraftvollste Geste, die man setzen kann.

 


Das Materialpaket der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft von Carl Appel verweist auf das Material und die Gestalt der ursprünglichen Fassade: ornamentierte und mehrfach geknickte Kassetten aus Aluminiumblech. Diese besondere Oberfläche wurde für dieses Gebäude mit dem Künstler Helmut Gsöllpointner entwickelt und fand später auch noch an anderen Fassaden Verwendung. Das Gebäude wurde bis auf den Stahlbetonkern rückgebaut und nach Plänen von ATP Architekten neu gestaltet.
© Jorit Aust

 

Inwiefern wird die Identität einer Stadt durch die Transformation von Gebäuden beeinflusst?
Landläufig glaubt man, die Stadt­identität wird von den wichtigen Gebäuden ausgemacht, die sich als Landmark präsentieren oder man als Tourismusikone vermarkten kann. Ich glaube aber, dass architektonische Oberflächen – Fassaden, Pflasterungen, Fliesen, Dächer, die man oft kaum wahrnimmt, sehr viel dazu beitragen, wie sich eine Stadt anfühlt, wie sie klingt, das Licht reflektiert, etc. In meiner Arbeit sammle und dokumentiere ich diese Oberflächen und Materialien, ordne sie neben- und übereinander an, hänge sie den Leuten vor die Augen, wie ein dysfunktionales Moodboard.

Welche Wünsche, Ideen und Utopien erkennt man an den Fassaden, die aktuell entstehen?
Eine Weile war es ganz klar die Transparenz. Glas bedeutet Transparenz, was man auch an vielen politischen Gebäuden gesehen hat. Im Moment möchte man mit der starken Konjunktur von Naturmaterialien eine gewisse Erdverbundenheit und Nachhaltigkeit signalisieren, vielleicht auch Beständigkeit. Im Moment ist alles in Grautönen. Es gibt viel Naturstein oder häufiger noch Keramikfliesen, die wie Naturstein aussehen. Dabei geht es sicherlich darum zu kommunizieren, dass man sich der Ressourcen bewusst ist. Bei Fassaden betrifft das aber häufig nur die äußersten zwei Zentimeter eines Gebäudes. Da muss man genauer hinsehen.

Worin soll eine Stadt unbegrenzt sein?
Eine Stadt braucht so viel wie möglich frei nutzbaren öffentlichen Raum. Der Einfluss von privaten und kommerziellen Interessen auf dessen Nutzung muss begrenzt werden. Da ist die Politik gefordert, dagegenzuhalten, und auch selbstorganisierte Initiativen zu unterstützen. Vor allem aber muss eine Stadt Platz für viele Sprachen, Kulturen und Lebensweisen haben. Man kann in ihr mehrere Identitäten und Gesellschaften gleichzeitig leben. Die informelle Vielfalt der Stadt muss auch formell sichtbar werden. Es braucht eine Sichtbarkeit für Minderheiten in Medien und Politik, für das, was oft angstvoll Parallelgesellschaft genannt wird, und es auch bleiben wird, wenn es an den Rand gedrängt wird. All diese Vielfalt, die es gibt, muss positiv umgewertet werden, damit sie auch positiv wirken kann.

 

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