Neues Leben in alten Häusern
Andreas Henter und Markus Rabengruber machen mit ihrem Büro Tp3 Architekten mit Sitz in der Linzer Altstadt seit 2005 gemeinsame Sache. Neben Wohn- und Städtebau hat sich das Duo mit seinem Team auf die Themen Bauen im Bestand und nachhaltige Konzepte spezialisiert. Im Interview verraten die beiden Gründer ihre Herangehensweise an Sanierungsprojekte. Sie sprechen über die größten Potenziale und Herausforderungen von Bestandsobjekten, ein fehlendes Bewusstsein und die Angst vor Revitalisierungen in der Gesellschaft. Den Abschluss bildet ein Herzensprojekt von Henter und Rabengruber, das bald in der oberösterreichischen Hauptstadt umgesetzt werden könnte.
Andreas Henter und Markus Rabengruber machen mit ihrem Büro Tp3 Architekten mit Sitz in der Linzer Altstadt seit 2005 gemeinsame Sache. Neben Wohn- und Städtebau hat sich das Duo mit seinem Team auf die Themen Bauen im Bestand und nachhaltige Konzepte spezialisiert. Im Interview verraten die beiden Gründer ihre Herangehensweise an Sanierungsprojekte. Sie sprechen über die größten Potenziale und Herausforderungen von Bestandsobjekten, ein fehlendes Bewusstsein und die Angst vor Revitalisierungen in der Gesellschaft. Den Abschluss bildet ein Herzensprojekt von Henter und Rabengruber, das bald in der oberösterreichischen Hauptstadt umgesetzt werden könnte.
Altes wird heutzutage – auch im Bau – oft durch Neues ersetzt. Was denken Sie ist der Hauptgrund dafür?
Andreas Henter AH: Die ungeschönte Antwort? Oft ist es die Profitgier. Gleich dahinter kommt wahrscheinlich die Bequemlichkeit. Häufig möchten Besitzer:innen möglichst schnell, viel aus einer bestehenden Liegenschaft herausholen – ohne sich mit einer Bestandsstruktur auseinanderzusetzen.
Markus Rabengruber MR: Ich denke, das hat verschiedene Gründe, die zum Teil auch politischer Natur sind – von Kosten und Förderungen bis hin zu Stellplatzverordnungen. Ein Neubau lässt eine genauere Kalkulation zu und bietet damit mehr Planungssicherheit. Gleichzeitig erhalten neue Projekte mehr Zuschüsse als Sanierungen und Bauträger wollen häufig möglichst viele Tiefgaragenplätze – die es im Bestand nicht gibt. All diese Parameter führen dazu, dass die Sanierungsquote bei nur 1 % liegt.
Sie beschreiben die „Spuren der Zeit“ als Ihre architektonische Strategie – was kann man sich darunter vorstellen?
AH: Bei unseren Projekten, hat man oft den Eindruck, etwas passt nicht ganz – es läuft nicht immer alles genau zusammen oder ist perfekt nivelliert. Architektur bedeutet für uns nicht unbedingt auch Geradlinigkeit. Lässt man sich auf ein bestehendes Gebäude ein, stößt man auf viele Qualitäten, die wichtiger sind als rechte Winkel. Deshalb streben wir bei unseren Bauten nicht nach Perfektion, sondern versuchen, den Fokus auf andere Themen zu legen. Daraus hat sich über die Jahre hinweg unsere eigene Handschrift entwickelt – die wir gerne als „Einfachheit als Prinzip“ bezeichnen.
MR: Für mich macht diese Herangehensweise ein Gebäude auch nahbarer. Mir ist eine unebene Weinviertler Kellergassen-Fassade sympathischer als eine aalglatte, rein an technischen Parametern orientierte. Architektur muss menschlich sein und genau das erreicht man über Unzulänglichkeiten, die den Bestand oft ausmachen. Christopher Alexander schreibt in seinen Büchern: „Das Weiterbauen bewahrt einen vor größeren Fehlern“. Anstatt immer wieder bei null anzufangen, gibt es bei Sanierungen bereits eine Grundlage. Man kann Fehler im Bestand erkennen und beheben oder Qualitäten schärfen und stärken, indem man diese unter verschiedenen Zeitschichten wieder freischält.
Beim Pfarrhof Reichenau ging es darum, den Bestand zu sanieren und ihn sowohl behutsam als auch nachhaltig fortzuschreiben. © Mark Sengstbratl
Waren Ihnen Sanierungen schon immer wichtig oder gab es einen Auslöser für den Fokus Ihres Büros?
MR: Den Fokus gab es von Anfang an. Wir haben zwar vor Gründung des Büros getrennt Projekte entwickelt, uns aber schon damals beide mit Nachhaltigkeit beschäftigt. Das Thema Sanierung kam dann sukzessive immer mehr dazu. Unser erstes Büro befand sich in der Linzer Altstadt. Beim Umzug in die neuen Räumlichkeiten fiel die Wahl – unseren Werten entsprechend – bewusst auf einen Altbau. Alte Gebäude strahlen eine besondere Atmosphäre aus, in und mit der wir (und unsere Mitarbeiter:innen) gerne arbeiten. AH: Mit der Zeit wuchs das Büro und mit ihm unsere Reputation bei potenziellen Auftraggeber:innen. Damit wurde es auch leichter, eigene Inhalte zu transportieren bzw. umzusetzen. Heute befinden wir uns in der glücklichen Position, Projekte auch abzulehnen, die nicht unseren Werten und architektonischen Vorstellungen entsprechen. Wir haben eine Verantwortung und übernehmen diese auch.
Tp3 Architekten koordinierten den schrittweisen Revitalisierungsprozess, um dem verfallenen Bestand der Burgruine Reichenau neues Leben einzuhauchen. © Tp3 Architekten & Nikolaus Schullerer-Seimayr
Was sind Probleme beim Bauen im Bestand? Welche Voraussetzungen fehlen Ihnen?
MR: Förderungen sind ein großes Instrumentarium. Man müsste die Strukturen völlig auf den Kopf stellen und alles auf die Sanierungskarte setzen. Das heißt (vor allem auch beim geförderten Wohnbau): weg vom Neubau! Zudem fehlt tatsächlich immer noch das Bewusstsein. Es spricht zwar jeder über Nachhaltigkeit, aber viele haben – auch aufgrund fehlender Beratung und Know-how – Angst vor Gebäudesanierungen. Hier bräuchte es Maßnahmen von Gemeinden und Förderstellen, um das Thema künftig auch Laien näherzubringen.
AH: Ein großes Problem beim Bauen im Bestand sind die – teils unverhältnismäßigen und nicht erfüllbaren – Normen und Richtlinien. Darin besteht für uns die größte Herausforderung, bei der wir sprichwörtlich wie Don Quijote gegen Windmühlen kämpfen. Die Gesetzgebung berücksichtigt meist nur die technische Performance eines Gebäudes, ohne den Wert des Bestandes miteinzubeziehen. Beispielsweise das Thema Brandschutz reißt oft ein großes Loch ins Budget. Da liegt es an den Behörden, Ausnahmeregelungen und Erleichterungen für Sanierungen zu schaffen. Es wäre fahrlässig, die Potentiale des Bestandes, aufgrund scheinbarer mangelnder (technischer) Anpassung zu vernachlässigen.
Worin steckt das größte Potenzial bei Gebäudesanierungen?
AH: Das Schöne an vorhandenen Strukturen ist, dass es bereits Nachbarschaften und Wegestrukturen gibt. Beim Abbruch im städtischen Bereich werden Bestandsgebäude oft durch nahezu identische Neubauten ersetzt – das macht wenig Sinn. Die IBA Thüringen hat hier einen interessanten Ansatz. Sie sagt: „Stell dir vor, was wäre, wenn alles gebaut ist.“ Und was wäre denn, wenn wir nichts mehr Neues bauen, sondern nur noch umstrukturieren? Uns ist natürlich bewusst, dass es diesbezüglich keine einfachen Antworten geben wird.
MR: Ein Vorteil bei der Gebäudesanierung sind bestehende Qualitäten wie z.B. höhere Erdgeschosszonen. Diese Großzügigkeit findet man bei Neubauten oft nicht mehr, da versucht wird, die zulässige Höhe mit dem Maximum an Geschossen zu füllen. Für uns macht der Bestand den Charakter einer Stadt aus: Alte Gebäude stellen immer auch Erinnerungsräume dar, die man erhält oder auslöscht. Daher braucht es jetzt ein Umdenken – einen Umbau im Kopf!
Eine Insel für Linz ist das Herzensprojekt von Andreas Henter und Markus Rabengruber. Mit ihm soll mitten in der oberösterreichischen Hauptstadt ein hochwertiger Freiraum entstehen.
Wie gehen Sie Sanierungsprojekte an, worauf liegt der Hauptfokus?
AH: Wir definieren mit allen Bauherren zuerst ein Anforderungsprofil, bevor es im nächsten Schritt darum geht, den Zustand des Gebäudes zu untersuchen, dessen Qualitäten zu erkennen und zu überlegen, wie man die Funktionen darin unterbringt. In diesem Prozess merkt man schnell, ob es das Gegenüber ernst meint, oder ob es sich bei einer Sanierung eher um Greenwashing handelt. Denn: Sanieren um jeden Preis macht unseres Erachtens keinen Sinn.
MR: Steht fest, dass saniert wird, geht es an die professionelle Vermessung und Bauteilöffnung, um Aufbauten und etwaige Schäden zu evaluieren. Diese Analyse der Gebäudestruktur bildet die Grundlage für alle weiteren Planungsschritte. Gerade in Linz weiß man dabei nie, was auf einen zukommt: Hier findet man viele Altbauten ohne jegliches Planmaterial mit Bombenschäden aus dem Zweiten Weltkrieg.
Gibt es ein Sanierungsprojekt, bei dem Sie besonders viel lernen konnten?
MR: Bei denkmalgeschützten, fast 500 Jahre alten Gebäuden gibt es immer Überraschungen. Ein besonders herausforderndes Projekt konnten wir in der Linzer Hofgasse umsetzen. Dort ging es um die Sanierung eines Altstadthauses mit einem schweren Bombenschaden. Im Inneren stießen wir auf acht verschiedene Deckenaufbauten – von Beton- und Dippelbaumdecken bis hin zu Ziegel-Einhängedecken und Gewölben – und mussten teils auf der Baustelle kurzfristig auf neue Entdeckungen reagieren. Bei Bauten wie diesen lernt man viel und
bekommt eine dicke Haut.
AH: Uns Architekt:innen wird oft eingebläut, ein Projekt müsse von Anfang bis Ende komplett durchgezeichnet sein, um Fragen zu vermeiden. Doch genau diese Fragen tauchen bei Altbauten unweigerlich auf. Wir kommunizieren von vornherein klar mit Bauherr:innen und geben offen zu, dass bei Sanierungen stets mit Überraschungen zu rechnen ist, die wir dann vor Ort lösen werden. Ein gewisses Maß an Gelassenheit und Ruhe – welche die Erfahrung mit sich bringt – ist dafür in unseren Augen essenziell.
Mit 28 Einheiten demonstriert das Baumwerk in Freistadt, dass sich leistbarer Wohnraum und ressourcenschonendes Bauen vereinen lassen. © Mark Sengstbratl
Wenn nicht Sanierungen, welche Neubauten sind in Ihren Augen am nachhaltigsten?
MR: Wo es geht, ist für uns Holzbau am nachhaltigsten, wo es nicht geht, sollte auf eine ressourcenschonende Materialwahl und sortenreine Bauweisen geachtet werden. An Beton führt bei manchen Bauteilen kein Weg vorbei, mit einer effizienten Planung kann man den CO2-Abdruck aber trotzdem so gering wie möglich halten und langlebig bauen – und genau darauf gilt es künftig, den Fokus zu legen.
AH: Auch auf die soziale Nachhaltigkeit sollte man nicht vergessen. Wir müssen unserer Verantwortung auch im klassischen Mietwohnbau gerecht werden und ökologisch bauen. Ein solches Projekt konnten wir gerade in Freistadt realisieren: einen Holz-Wohnbau mit Photovoltaik-Anlage und viel Grün, der eine bestehende Baulücke in der Stadt schließt. Welches Projekt würden Sie künftig gerne (in Linz) umsetzen?
AH: Unser Projekt „Eine Insel für Linz“. Bei diesem handelt es sich um die Neugestaltung und Renaturierung einer 30.000 m2 großen, asphaltierten Fläche in Urfahr direkt an der Donau, die zu einem grünen Erholungsareal für die Linzer: innen werden soll. Tatsächlich sieht es so aus, als würde die Stadt jetzt einen ersten Abschnitt in die Tat umsetzen und damit ein nachhaltiges Zeichen setzen wollen.
MR: Die Stadt Linz liegt uns sehr am Herzen, deshalb wollen wir etwas verändern und mischen uns auch (in Form von kleinen „Guerilla“-Projekten) ein, um hoffentlich mehr Bewusstsein zu schaffen. Unser Insel-Projekt ist uns ein besonders großes Anliegen, bei dem wir hoffen, dass es jetzt endlich losgeht.
Interview: Edina Obermoser